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Die Geschichte vom doofen Leser

Als der Aschendorff-Verlag am 1. August öffentlich machte, dass er die Münstersche Zeitung (MZ) übernehmen wird, stand in der Pressemitteilung der schöne Satz: „Das Ziel dieser Sanierungsfusion ist die Aufrechterhaltung der publizistischen Vielfalt in der Zeitungslandschaft Münsters und des Münsterlands.“

Das ist acht Wochen her. Am Montagnachmittag, kurz nach 16 Uhr, verkündete MZ-Übergangsverwalter Thilo Grickschat in einer Betriebsversammlung, dass die Münstersche Zeitung in ihrer jetzigen Form am 15. November zum letzten Mal erscheint. Das, was von ihr übrigbleiben wird, beschrieb er mit den Worten: „Seiten mit anderer Optik, aber ich sag mal vorsichtig, mit nicht immer unterschiedlichem Inhalt.“ Den Grund nannte Grickschat auch: 2,7 Millionen Euro Miese, die die Münstersche Zeitung im Jahr produziert.

Vor diesem Tag hatten viele Angst gehabt. Ich selbst lange auch. Bis Ende August war ich Redakteur der Zeitung. Und fast in meiner gesamten Zeit stellte sich eigentlich nie die Frage: Wann geht es wieder bergauf? Es ging immer nur darum, wie lange das alles wohl noch gutgeht. Die sinkende Auflage. Die schrumpfenden Werbeeinnahmen. Das abflauende Interesse der Mutter in Dortmund und die Gerüchte dort, die man irgendwann auch in Münster hören konnte.

Mittagspause. Und dann die Frage: Wie soll das gehen, so Zeitung machen?

Drei Leute im Urlaub. Einer krank. Acht Seiten. Drei Reporter. Zwei Seiten Pressemitteilungen. Ich brauch noch Meldungen. Von unten wegschneiden. Fertig.

Aber es geht. Es geht auch mit noch weniger Leuten. Aus einem Meter Entfernung sehen die Zeitungen ja alle gleich aus.

Und jetzt steht da die Frage: Woran hat’s gelegen? Sinkende Abo-Zahlen, schrumpfende Werbe-Erlöse. 2,7 Millionen Miese pro Jahr. Ratlose Gesichter.

„Es ist ja bestimmt nicht die schlechtere Zeitung gewesen“, sagte Thilo Grickschat in der Betriebsversammlung am Montag. Aber die Werbeerlöse seien eben etwas schneller geschrumpft als bei den Westfälischen Nachrichten. Und die Auflage auch.

Vielen Zeitungen geht es schlecht. Die Krise ist schuld, aber die Zeitungen haben es natürlich auch selbst verbockt. Das kann man überall nachlesen. Und wie das läuft bei vielen Lokalzeitungen, das ja auch.

Zu wenig Geld, zu wenig Zeit, zu wenig Rückgrat.

Dazu kommt aber noch etwas viel Schlimmeres: die Überzeugung, dass der Leser doof ist – oder das meiste zumindest schon nicht merken wird.

Deshalb jubelt man ihm Werbung unter, ohne es irgendwo zu erwähnen.

Deshalb füllt man die Hälfte der Zeitung mit Pressemitteilungen, die es woanders umsonst gibt.

Deshalb macht man Zeitungen, die im Prinzip nur Anzeigenkunden interessant finden können.

Deshalb führt man Bezahlschranken ein, die sich umgehen lassen, indem man die Cookies löscht.

Deshalb gehen Zeitungen Medienpartnerschaften ein, die Exklusiv-Infos abwerfen sollen, was aber noch nie passiert ist, und die letztlich nur dazu führen, dass die Berichte über den Medienpartner überraschend wohlwollend ausfallen.

Und deshalb wirft man eine Redaktion heraus und verkauft den Leuten eine Zeitung, die sie eigentlich gar nicht haben wollen.

Einer meiner alten Kollegen erzählte, in der Redaktion sei das Ergebnis einer Lesermarkt-Studie angekommen. Ich habe sie selbst nie gelesen, weiß also nicht, ob sie tatsächlich existiert. Aber so überraschend ist das Ergebnis nicht, daher tratsche ich es mal hier weiter: In Münster soll es so gut wie unmöglich sein, Menschen dazu zu bewegen, von der einen Zeitung zur anderen zu wechseln. Mit einem Zombie-Titel geht das natürlich schon.

„Eine Insolvenz wird es nicht geben“, sagte Thilo Grickschat am Montag.

Und das bedeutet: Die MZ-Redaktion produziert am 14. November ihre letzte Ausgabe. Danach, so die Ankündigung, muss die Hälfte der Belegschaft wohl gehen. Die andere Hälfte bekommt ein Jobangebot. Ein Teil der Redaktion stößt zur neuen Zeitungsgruppe Münster, wo die Kollegen der Westfälischen Nachrichten mit ihnen zusammen den eigenen Lokalteil und den der Münsterschen Zombie-Zeitung aus den gleichen Versatzstücken zusammenflicken. „Seiten mit anderer Optik, aber ich sag mal vorsichtig, mit nicht immer unterschiedlichem Inhalt.“

In dem Artikel, der das am 3. November in der Münsterschen Zeitung den Lesern erklärt, liest sich das so: „Durch diese Sanierungsschritte kann der Titel ‚Münstersche Zeitung‘ erhalten werden und die Zeitung in der bewährten Form und Qualität weiter erscheinen.“

Na ja, mit etwas Glück wird’s schon keiner merken.

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