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Die verschleuderte Freiheit

In meiner Zeit als Wirtschaftsreporter kam einmal der Inhaber eines Modeladens in die Redaktion und drohte mit seinem Anwalt, weil in der Zeitung stand, dass es seinen Laden nicht mehr gab. Das Geschäft hatte er ausgeräumt. Das konnte jeder sehen, der am Schaufenster vorbeilief. Aber der Mann fand, so was müsse man ja nicht auch noch breittreten. Und dann auch noch im Internet. Das sei ja rufschädigend.

Ich konnte ihn irgendwie verstehen. Wahrscheinlich suchte er einen neuen Job, und wenn man seinen Namen bei Google eingab, stand dort ganz oben sofort alles über die Pleite. So was ist ärgerlich. Trotzdem war ich überrascht, wie überzeugt er davon war, dass der Fehler auf meiner Seite lag, weil der Artikel gegen seinen Willen erschienen war.

So etwas ist mir öfter passiert und jedem anderen Journalisten wahrscheinlich auch. Wenn ich Unternehmen anrief, hörte ich am Ende des Gesprächs manchmal: „Wenn Sie’s geschrieben haben, schicken Sie’s einfach schnell rüber. Dann schaut der Chef noch mal drüber und gibt’s frei.“ Manchmal scheiterte das Gespräch schon am Anfang. Einmal sagte die Pressesprecherin: „Wenn wir in die Zeitung wollen, dann schicken wir selbst was.“

Meistens ließ sich das Missverständnis irgendwie ausräumen. Aber viele Menschen waren wirklich überrascht, wenn ich ihnen erzählte, dass man über Unternehmen oder Vereine berichten darf, ohne vorher den Chef um Erlaubnis gefragt zu haben. Dass das so wenig bekannt ist, liegt wahrscheinlich auch an der Presse selbst.

In Unternehmen hat man über die Jahre gelernt: Mit der Zeitung kann man es ja machen. In Pressestellen lacht man sich tot, wenn ihnen Zeitungsredakteure mit der Pressefreiheit kommen, denn die gilt ja eh nur da, wo keine Anzeigen und Abonnenten im Spiel sind. Wer Freiheit gegen Geld eintauscht, hat schon relativ bald beides verloren.

Spätestens seit dem 7. Januar 2015 ahnen wir, dass Pressefreiheit nicht nur bedeutet: Ich darf meine Meinung sagen, wann immer ich möchte. Sondern möglicherweise auch: Ich muss meine Meinung sagen, wenn ich die Freiheit behalten will.

In den meisten Redaktionen steht unter der Woche nicht ganz so viel auf dem Spiel. Aber die Verpflichtung gilt auch hier, und wer am Tag drei Pressekonferenzen runterreißen muss, der wird kaum Zeit finden, sich vernünftig vorzubereiten und sich gute Fragen zu überlegen.

Herauskommt dann das, was man jeden Tag überall in Zeitungen findet: eiligst geschriebener Unsinn, der im Grunde nur verhindern soll, dass der Platz zwischen den Anzeigen weiß bleibt. Das ist natürlich irgendwie auch Pressefreiheit, weil nicht viel Presse übrigbleibt. Aber der Grundgedanke war eben ein anderer.

Manchmal liegt es nicht mal am Unvermögen, sondern an der verfehlten Absicht. In einigen Redaktionen lernen Journalisten, dass neu eröffnete Geschäfte nur dann ein Thema sind, wenn der Inhaber auch eine Anzeige schaltet. Wenn er Abonnent ist, reicht dann aber trotzdem die Drohung mit der Kündigung, damit ein Reporter kommt.

Eine Kollegin hat mir mal erzählt, dass sie im Volontariat in der Anzeigenabteilung erfragen musste, welche Unternehmen die Redaktion anrufen darf.

Anzeigenverkäufer verramschen zur Anzeige ganz selbstverständlich noch einen redaktionellen Beitrag und können daran nichts Schlechtes finden, denn es dient ja dem Guten. Es kommt ja Geld rein.

Dass so etwas nicht passieren sollte, regelt eigentlich der Pressekodex. Nur wird der in einigen Redaktionen ungefähr so ernst genommen wie die die Sexualmoral in der katholischen Kirche. Es ist natürlich sehr ehrenwert, sich danach zu richten, aber irgendwie auch weltfremd – jedenfalls, wenn es im Fall der Presse um die Trennung von Werbung und redaktionellem Inhalt geht.

Den zweifelhaften Anschein nimmt man den geschäftlich-redaktionellen Verbindungen gern, indem man sie Medienpartnerschaften nennt. Der Deal soll sein: exklusive Infos gegen regelmäßige Berichte. Was dabei meistens herauskommt, ist: unkritische Artikel gegen den üblichen PR-Kram. Und von einer freien Berichterstattung kann oft nicht mehr die Rede sein.

So geht die Freiheit zu einem mittelmäßigen Preis weg. Und das alles passiert in dem Glauben, dass ein bisschen von alledem doch wohl okay sein müsste.

Es hat natürlich auch was Komisches, wenn auch diese Medien jetzt im Schulterschluss Mohammed-Karikaturen veröffentlichen, um die Pressefreiheit zu verteidigen, die sie selbst in Teilen schon verscherbelt haben.

Aber für den Fall, dass man jetzt noch einen verspäteten Vorsatz für das laufende Jahr suchen sollte, wäre das doch vielleicht keine schlechte Idee: die Pressefreiheit etwas ernster nehmen. Vor allem im Kleinen.

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