Wassim gegen den Dämon
Kaffeepause, und irgendwer sagt, inzwischen seien es ja sogar schon drei Anschläge. Frankreich, Kuweit, jetzt noch Tunesien. Amoklauf am Strand. Viele Tote. Mehr wisse man auch noch nicht. Und mehr will man am liebsten auch gar nicht wissen, aber das lässt sich natürlich nicht vermeiden. Der Schleier hängt jetzt über diesem Nachmittag, der eigentlich sehr schön begonnen hatte.
Es ist die dritte TEDx-Konferenz in Münster. Freunde von mir hatten vor drei Jahren die Lizenz für den kleinen Ableger der großen TED-Konferenzen bekommen. Da mussten sie mir noch erklären, was das ist. Menschen sprechen zehn Minuten lang über Ideen, die es wert sind verbreitet zu werden.
„Ideas worth spreading“. Eigentlich ganz einfach.
Die ersten beiden Konferenzen waren schon fantastisch, und das lag auch daran, dass sie natürlich nicht mit den Vorträgen enden – und meistens auch nicht vor Mitternacht.
Nun denkt man zwischendurch an den 11. September 2001, als immer neue Nachrichten kamen und das Ausmaß der ganzen Katastrophe erst langsam Konturen bekam. Es sollen jetzt knapp 30 Tote sein in Tunesien, sagt einer. Die Kaffeepause ist zu Ende. Weiter geht’s. Alle wieder rein. Dritte Runde. Sechs kurze Vorträge.
Als der erste endet, wartet ein junger Mann schon neben der Bühne. Jeans, Jackett, dünner Bart. Wassim Zoghlami, ein junger Tunesier. Titel seines Vortrags: „Social data mining to fight terror.“
Wassim lächelt, als er auf das kleine Podest steigt, aber wenn man ihm zuhört, ahnt man, dass ihm das gerade nicht leicht fällt. Eigentlich hätte er etwas Humor unterbringen wollen, erzählt er. So etwas ist ja oft ganz hilfreich, um die Leute bei der Stange zu halten, wenn es um ein sperriges Thema wie Terror geht. Aber das entfällt jetzt. Stattdessen: eine Schweigeminute.
„Mit dem Anschlag auf das Musée Bardo in Tunis hat keiner gerechnet. Und jetzt passiert es wieder. Wir werden den Dämon bekämpfen, und am Ende werden wir ihn los sein. Je suis Tunisie“, sagt Wassim.
Dann erzählt er, wie er das machen will, und was er nicht sagt: Vor zwei Wochen wusste er noch gar nicht, dass er heute hier stehen würde. Das erzählt später Carina Schmid, eine der TEDx-Organisatoren und Geschäftsführerin der Organisation The Global Experience. Bei ihr in Berlin macht Wassim, studierter Informatiker und preisgekrönter Jungunternehmer, gerade ein Praktikum. Vier Monate lang. Seit zwei Wochen ist er da.
Es war eher Zufall, dass Carina Schmid von der Idee erfuhr. Wassim erwähnte sie irgendwann abends am Rande. Carina Schmid fragte nach. Wassim erzählte etwas mehr, und Carina Schmid sagte: „Darüber musst du sprechen – nächste Woche bei der TEDx.“ Am gleichen Abend – es war schon spät – rief sie die anderen aus dem Organisationsteam an, um sie davon zu überzeugen, eine Woche vor der Konferenz noch das Programm zu ändern, aber das war nicht so schwer. Und jetzt steht er hier.
Auf der Leinwand über Wassim erscheint ein Tweet in arabischer Sprache. Er ist ein paar Tage vor dem Anschlag im Musée du Bardo gesendet worden, und offenbar hätte man etwas ahnen können, wenn man den Tweet schon vorher gefunden hätte.
„Da bin ich neugierig geworden“, sagt Wassim.
Der Projektor wirft eine Abbildung an die Wand, die ein bisschen Ähnlichkeit hat mit einem feinen Wollknäuel. So seien die ISIS-Sympathisanten vernetzt, sagt Wassim. Deren Accounts zu sperren, könne man sich sparen. Die würden sich einfach neue machen.
Aber auf eine andere Weise könnte es gehen. Wassim hat etwas herausgefunden. Die ISIS-Sympathisanten verwenden viele immer gleiche Hash-Tags und Phrasen, um miteinander zu kommunizieren. Über ihm ist jetzt ein Grafik zu sehen.
„Mit relativ simplen Data-Mining-Methoden“, wie Wassim sagt, hat er 50.000 Tweets untersucht.
Die nächste Folie. Das Ergebnis: eine Kurve, die sich im Zickzack-Kurs an einer Zeitachse entlangschlängelt. Wenige Tage vor dem Anschlag sieht man einen deutlich Sprung. Die Aktivität nimmt zu.
„Das sind alles öffentliche Daten“, sagt er.
Vielleicht hätte man mit diesen Daten auch Hinweise auf das Attentat von Sousse finden können. Wassim will das jetzt herausfinden. Er will nicht mehr nur 50.000 Tweets untersuchen, sondern mehrere Millionen.
Am Mittwoch beginnt in Münster das Digital Participation Camp. 90 junge Menschen aus 33 Ländern, die zusammen an digitalen Projekten arbeiten. Wassims „Data Shield Project“ ist eines davon.
Es ist ein Open-Source-Projekt. „Wer dabei helfen möchte, kann mitmachen“, sagt Wassim, und das waren auch schon seine zehn Minuten. „Je suis Tunisie“, ruft er noch, dann geht er im Applaus von der Bühne.
Kleiner Nachtrag:
Carina Schmid hat mich netterweise darauf hingewiesen, dass Wassim auch selbst über das Thema geschrieben hat. Zu finden wäre das hier.