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Blendles neuer Korb

Zeitungsverlage sind ein bisschen wie Supermärkte, die ausschließlich Präsentkörbe verkaufen. Wenn man einen Liter Milch haben möchte, bekommt man immer noch Brot, Wurst, eingelegte Gurken und irgendwelchen anderen Kram dazu, den man wahrscheinlich gar nicht gebrauchen kann.

Das einzige Symbolbild bei 123rf, auf dem sowohl ein Korb als auch eine Zeitung zu sehen sind. Urheber: hayatikayhan / 123RF Lizenzfreie Bilder

Dass man nicht einfach ein Stück Käse kaufen kann, liegt vor allem an zwei Dingen: Erstens sehen die  Supermärkte in den Präsentkörben ihre große Stärke, zweitens möchten sie dieses einträgliche Modell auch nur ungern aufgeben, denn es ist natürlich viel lukrativer, wenn Kunden gleich einen ganzen Korb voller Lebensmittel mit nach Hause schleppen, als wenn sie nur eine Packung Milch mitnehmen. Außerdem bliebe man auf den eingelegten Gurken am Ende womöglich sitzen.

Ungefähr so stellt sich die Situation auf dem Zeitungsmarkt dar.

Wenn man ganz viel Pech hat und zum Beispiel im Einzugsgebiet der Oelder Glocke lebt, muss man das E-Paper einen ganzen Monat lang abonnieren, um einen einzigen Artikel lesen zu können. Auf jedem anderen Markt würden die Kunden das für einen Scherz halten. Auf dem Zeitungsmarkt lassen sie so was offenbar mit sich machen.

In dieser Woche hat der Zeitungskiosk Blendle aufgemacht, und es könnte sein, dass sich damit einiges ändern wird. Nicht innerhalb von Wochen, aber vielleicht auf Dauer und möglicherweise auch für die Glocke in Oelde, denn wenn Leser sehen, dass es auch anders geht, werden sie sich irgendwann fragen, warum ausgerechnet sie so schlecht behandelt werden.

Blendle verkauft Artikel aus Zeitungen und Magazinen einzeln. Den Gründer Marten Blankesteijn und Alexander Klöpping ist damit die Lösung für ein Dilemma gelungen, das sich über Jahre scheinbar nicht lösen ließ. Verlage mussten sich entscheiden zwischen den Einnahmen oder der Reichweite. Wer sich für die Einnahmen entschied, bekam am Ende oft gar nichts.

Es gibt schon ein paar sehr gute Texte zu den vielen Vorteilen und einigen Nachteilen, die Blendle mit sich bringt.

Stefan Niggemeier macht zum Beispiel darauf aufmerksam, dass ein Problem bleibt, solange Verlage ihre Texte bei Blendle verkaufen, dann aber trotzdem irgendwann kostenlos ins Netz stellen. Wer sie gekauft hat, könnte sich ärgern, wenn er sie als Gratis-Link findet. Die Krautreporter lassen sich aus ähnlichen Gründen gerade einzäunen. Andererseits könnte man die 89 Cent, die man für ein Zeit-Dossier zahlt, aber auch als Preis dafür verstehen, dass man die Artikel eine Woche früher bekommt.

Felix Schwenzel kritisiert, dass Blendle auf Links verzichtet. Benjamin O’Daniel hat die Artikelpreise analysiert. Er vermutet, dass die Unterschiede schwer vermittelbar sein werden. Ich schätze, da wird sich aber auch noch etwas ändern.

Blendle wird vermutlich keine Zeitung und kein Magazin retten. Es ist ein Zusatzgeschäft, und im schlechtesten Fall könnte die App ein Spielzeug für ein paar Zeitungsnerds bleiben. Aber der Dienst ist aus einem anderen Grund wichtig, denn er ist aus einer Richtung gedacht, die Veit Dengler, CEO der Schweizer NZZ-Mediengruppe, in einem Gastbeitrag für den Spiegel vor Kurzem so beschrieben hat.

Der Fokus für das Geschäftsmodell muss daher weg vom Produkt – egal ob Zeitung oder Website – hin zum Fokus auf den zahlenden Kunden und dessen Bedürfnisse.

Bislang sah man im Fokus des regionalen Geschäfts vor allem den Verlag und seine Bedürfnisse. Die Glocke in Oelde zum Beispiel verlangt für ihr Digital-Abo 18,40 Euro im Monat. Für den Leser ist das Abo-Modell eigentlich nur von Nachteil. Er könnte sich auch Morgen für Morgen am Frühstückstisch entscheiden, ob er Zeit findet, die Zeitung zu lesen. Aber die Verlage haben sich an das Abo-Modell gewöhnt, denn es erleichtert die Planung natürlich enorm. Und mit diesem Modell haben sie sich an ein Qualitätsbewusstsein gewöhnt, dessen oberste Maxime der Satz ist: Die Seiten müssen irgendwie voll werden.

Viele Leser lassen sich das gefallen, weil sich an der Qualität der Todesanzeigen über die Jahre nicht so viel geändert hat und man die behagliche Gewohnheit, die ein wesentlicher Produktbestandteil der Lokalzeitung ist, auch weiterhin geliefert bekommt.

Was aber, wenn man sich nicht mehr per Abo-Kündigung komplett gegen dieses Produkt entscheiden muss, von dem man Teile ja weiterhin gern hätte, sondern wenn man bei einzelnen Artikeln mal einfach sagen kann: Für diesen Mist hätte ich gern mein Geld zurück?

Bei Blendle geht das, denn da entscheidet man erst nach dem Lesen, ob einem der Artikel das Geld wirklich wert war. Allerdings passt das sehr schlecht zu dem Präsentkorb-Denken, wo man Zeitunglesern Pressemitteilungen, Gefälligkeiten für Anzeigenkunden und mit einem Anruf recherchierte Geschichten unterjubelt, weil man darauf setzt, dass sie in der Masse der Artikel schon nicht weiter auffallen werden. Die meisten Leser sind ja eh zu bequem, sich wegen so was zu melden.

Blendle wird diese Praxis nicht ändern, aber vielleicht doch die Bereitschaft, dieses selbstbezogene Geschäftsdenken zu akzeptieren. Und so wird immer deutlicher, dass auf der einen Seite die Medienunternehmen stehen, die versuchen, ihren Nutzern bei Facebook entgegenzukommen, die schauen, ob Blendle sich lohnen könnte, die versuchen das zu liefern, was die Kunden sich wünschen. Auf der anderen Seiten stehen Firmen, deren Devise sich ganz gut mit dem Satz umschreiben lässt: Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.

Die Zeitung ist natürlich noch immer ein Präsentkorb. Das ist einer der unschlagbaren Vorteile, die sie gegenüber den zahllosen Filterblasen hat, in denen Menschen durchs Netz schleichen. Aber die Einsicht, dass Journalisten ihre Filterhoheit verloren haben, führt auch zu der Erkenntnis, dass der Korb nur noch ein Vorschlag sein kann.

Blendle hilft sogar dabei, diesen Korb zusammenzustellen. Man kann sich Benachrichtigungen schicken lassen, wenn die Lieblingsautoren irgendwo etwas geschrieben haben. Und das hat ein bisschen was von einem Treppenwitz, denn dank dieser Funktion kann man Zeitungen und Magazine jetzt endlich auch lesen wie Blogs.

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