Kuck mal, wat für ’n Käseblatt
In Münster suchen sie einen Zoodirektor. Ein Freund hat mir die Stellenanzeige geschickt. Ich habe mich noch nicht entschieden, aber es gibt zum Glück noch andere Optionen.
Wenn ich in den letzten Jahren an schlechten Tagen darüber nachgedacht habe, mir einen anderen Job zu suchen, dann dauerte das meistens einen Abend. Einmal wollte ich Lehrer werden. So etwas beginnt ja immer mit einer Google-Recherche. Kann sein, dass ich mich dumm angestellt habe, jedenfalls landete ich in Foren, wo ich Sätze las wie: „Ich bin seit zehn Jahren Lehrer, und ich brauche dringend eure Hilfe.“
Ich sah mich selbst in zehn Jahren solche Sätze schreiben.
Es ist aber eigentlich auch nicht der Beruf, der mich stört. Ich kann mich an keinen einzigen Arbeitstag erinnern, an dem ich mir gewünscht hätte, dass die Uhr etwas schneller läuft. Okay, die Konferenzen mal ausgenommen.
Ich arbeite in einer Redaktion, in der schon mal Kuchen auf dem Tisch steht, weil Kollegen einen Journalistenpreis gewonnen haben. Einige dieser Kollegen bewundere ich für ihre Arbeit.
Es gibt zum Beispiel Jörg Gierse, in dessen Texten ich in sieben Jahren beim Redigieren vielleicht fünf Fehler gefunden habe. Es können auch vier gewesen sein. Und das liegt nicht daran, dass ich ein so lausiger Korrektor wäre.
Es gibt Helmut Etzkorn, der seit Jahrzehnten zu jedem größeren Einsatz der Polizei oder der Feuerwehr fährt. Das kann morgens um halb fünf sein. Um zehn Uhr sitzt er in der Morgenkonferenz und hat den Text schon geschrieben.
Es gibt Ulrich Breulmann, mit dem es sehr unangenehm werden kann, wenn man es in einer Recherche mit ihm zu tun bekommt. Er ist kritisch und gründlich. Von ihm kann man lernen, was journalistische Haltung ist.
Es gibt Tobias Großekemper, der Geschichten sieht, die andere nicht sehen, und der sie großartig aufschreiben kann.
Es gibt Christoph Klemp, der vielen Leuten fürchterlich auf die Nerven geht, weil er so hartnäckig ist – und den ich um diese Hartnäckigkeit beneide.
Es gibt Michael Hagel, von dem ich wahrscheinlich am meisten gelernt habe.
Und es gibt Stefan Bergmann, der eigentlich immer weiterhelfen kann, wenn um halb sechs noch immer ein Aufmacher für die Zeitung fehlt.
Das sind nur schreibende Kollegen. Es gibt noch viele andere. So eine Aufzählung hat ja immer den Nachteil, dass man nicht alle nennen kann. Ich erwähne das aber, weil ich sagen will: Es gibt hervorragenden Lokaljournalismus.
Aber es gibt eben auch das Gegenteil. Also die Seiten, die Zeitungsleser am Frühstückstisch mit den Worten über den Tisch reichen: „Kuck mal, wat für’n Käseblatt.“
Und weil es immer ganz gut ist, wenn man Beispiele hat, habe ich mal drei Texte rausgesucht. Das hier sind die ersten Sätze:
„Zur Jahreshauptversammlung lud am Samstagabend der Box Sportclub Münster 23 e.V. in der Gaststätte Nemann an der Metzerstraße.“
„Zu einem Werkstattkonzert unter dem Titel ‚Neue Musik‘ lud die Musikschule Nienberge am Sonntagabend in das evangelische Lydia-Gemeindezentrum ein.“
„Eine durchweg positive Bilanz des vergangenen Jahres konnte auf der Generalversammlung des SV Concordia Albachten am Sonntag im Clubheim an der Hohen Geist 7 gezogen werden.“
Man kann sich ungefähr vorstellen, wie es weitergeht. Nur, man will es nicht.
Im ersten Text zitiert der Autor den stellvertretenden Vereinsvorsitzenden mit dem Satz: „Bevor im kommenden Jahr die jüngere Generation die Verantwortung im Vorstand übernimmt, bleibt im laufenden Jahr fast alles beim Alten.“ Er hätte auch sagen können: „In diesem Jahr gibt’s nichts zu erzählen. Kommen Sie einfach nächstes Jahr wieder.“
Über dem zweiten Text steht in fetten Buchstaben: „Das etwas andere Konzert.“ Und mittlerweile dürfte sich auch bis in die letzten Winkel des Landes rumgesprochen haben, dass das eine nette Umschreibung für „wirklich nichts Besonderes“ ist. Hier vielleicht noch ein Zitat: „Der Applaus des bis auf den letzten Platz besetzten Gemeindezentrums sprach für sich.“
Und dann noch zum dritten Text. Auch hier ein paar Zitate: „Gespannt darf man auf den weiteren Verlauf des Jahres sein.“ Oder das hier: „Herauszuheben ist überdies das Engagement des Vereins in sozialer Hinsicht.“
Diese Texte sind grauenvoll. Wenn man mich fragt, sie hätten nie in der Zeitung erscheinen dürfen. Ich habe überhaupt nichts gegen Vereinsberichterstattung. Aber die Voraussetzung dafür, dass etwas in der Zeitung steht, sollte immer sein, dass man vom Kreis der potenziellen Interessenten die Leute auf dem Foto abziehen kann und dann noch immer jemand übrigbleibt.
Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Voraussetzung manchmal nur knapp erfüllt ist.
Die Artikel oben sind zehn Jahre alt. Aber so etwas steht auch heute noch in der Zeitung. Jede Woche. Dahinter steht die Überzeugung: „Die Leute lesen so was.“
Ich bezweifle das. Ich glaube, am Niedergang der Lokalzeitung ist nicht nur das Internet schuld. Das liegt auch ein bisschen an dieser Form von Journalismus.
Vielleicht sollte ich noch sagen: Die drei Texte stammen von mir. Ich habe sie vor zehn Jahren geschrieben.
24 Kommentare
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Das Argument „Die Leute lesen das.“ kenne ich ebenfalls. Ich halte es für nicht ganz falsch. Es gibt schon einige Leute, die das lesen. Es sind aber vermutlich nur wenige mehr als auf den von dir genanntem Ehrungsfoto. Diese Leute sind hochgradig daran interessiert, dass die Artikel im Blatt stehen, und zwar mit möglichst großen Bildern und hoher Zeilenzahl, weil sie dies (zu Unrecht) für eine Rechtfertigung ihrer Arbeit und eine Daseinsbestätigung ihres Vereins halten (lässt sich aber auch gut auf die Kommunalpolitik übertragen). Wenn die Berichterstattung nicht in dem ihrer Meinung anch angemessenen Maß stattfindet, melden die Betroffenen sich lautstark in der Redaktion und beschweren sich.
Die bei weitem größere Mehrheit dürfte genauso wie du und ich von diesem „Käsblatt“-Inhalt genervt sein. Allerdings rufen die nur selten an, um ihrer Genervtheit Ausdruck zu verleihen. Und schon gar nicht rufen sie mit Dankesbekundungen an, wenn wir die Käsblatt-Inhalte weglassen oder angemessen aufarbeiten (sprich: zusammenstreichen), weil eine Qualitätssteigerung durch Weglassen nun mal praktisch nicht wahrnehmbar ist.
Dennoch führt kein Weg an der Qualitätssteigerung durch Weglassen vorbei:
Zunächst einmal bedarf es bei den schreibenden Kollegen des Muts und der Fähigkeit, die Nachricht in einem größtenteils langweiligen Konzert oder während einer Versammlung herauszufinden und diese zum Anfang und Kern der Geschichte zu machen – gegen die Chronologie und den Willen der Veranstalter.
Dann bedarf es in der Redaktion des Muts und des Fleißes zur Qualitätssteigerung durch Weglassen. Da kann sich eine Vernissage auf ein spannendes Foto und 20 Zeilen beschränken, in denen eben nicht die Eröffnungsrede wiedergegeben wird, da muss eine Konzertkritik nicht alle gespielten Stücke nennen, sondern sollte sich auf besonders gelungene (oder misslungene) ausschnitte des Programms beschränken, und da darf eine Jahreshauptversammlung auf Meldungsformat zusammenschrumpfen, wenn das einzig Interessante die Bekanntgabe des Sommerfesttermins war. Manche Termine würden dann auch überhaupt nciht mehr besetzt.
Das macht aber auch eine veränderte Honorierungspraxis nötig. Wenn die Kollegen für Zeilen und Fotos bezahlt werden, ist es nur logisch, dass sie schwafeln. Umgekehrt haben Pauschalen den Effekt, dass tatsächlich interessante Dinge zu stark verkürzt werden. Das Umstrukturieren der Honorierung ist also keineswegs trivial.
Außerdem bedarf es in der Redaktion der Geschlossenheit, so dass alle die Qualitätssteigerung mittragen. Wenn in einem Ressort weiter ellenlange Käsblatt-Texte stehen und der Kollege, der für die Nachbarkommune zuständig ist, Qualität durchzusetzen versucht, lässt sich das nur schwer durchhalten.
Und schließlich bedarf es der Rückgrats in der Redaktion(sleitung), die ungeliebte Volumenreduktion auch gegenüber erbost am Telefon schreienden Vereinsvorsitzenden oder Bürgermeistern durchzuhalten.
„Wenn die Kollegen für Zeilen und Fotos bezahlt werden, ist es nur logisch, dass sie schwafeln. Umgekehrt haben Pauschalen den Effekt, dass tatsächlich interessante Dinge zu stark verkürzt werden.“
So ist es. Pauschalen sind Wetten. Der eine setzt drauf, dass er mehr bekommt als wenn er für Volumen zahlen würde, der andere dass er mit weniger Volumen mehr Geld bekommt.
Krux ist meiner Meinung aber auch das Medium Papier. Da muss (!) eine Seite voll werden. Wäre es „nur“ Internet, wäre das kein Problem. Da kann man mal einen Tag warten, bis die Anfrage beantwortet ist und die Geschichte rund. Da kann auch mal was kürzer sein oder aus einer Bildergalerie bestehen. Man kann auch mal war erklären (es ist ja reichlich Platz) oder es besser lassen, weil ein Link zur richtigen Seite das viel besser macht.
Bei den Beispielen fehlt das Schulkonzert. 😉 Wer liest den Artikel denn? Lehrer, Schüler, Eltern und Großeltern – also all‘ die, die auch auf dem Konzert waren. Kann man eigentlich bleiben lassen. Da es ja auch keine Chance gibt, nächste Woche nochmal hinzugehen.
Ich versuche ja hier Veranstalter darauf anzuspitzen, dass sie vor ihrem z.B.Theaterstück die Presse ansprechen. Dann kann man über eine der Proben schreiben – gerne mit Kostüm wg. Foto – und nicht über ein Stück das keiner mehr sehen wird. Weil die Bühne nur für ein Wochenende verfügbar ist und dann die anderen Gruppen des Sport- und Kulturvereins die Halle brauchen. Der Vorbericht schafft zwei Dinge: Die erwartete Aufmerksamkeit und der Leser kann sich überlegen, ob er sich das anguckt.
Hallo Ralf,
Ich bin gerade irgendwie über Twitter auf deinen Blog gestoßen und finde es wirklich sehr interessant, was du hier schreibst. Ich wohne selbst auch in der Nähe von Münster und lese schon seit ich denken kann die Westfälischen Nachrichten, bin also mit dem von dir beschriebenen Käseblatteffekt im Lokalteil mehr als vertraut.
In einem Jahr mache ich Abitur. Eigentlich wollte ich schon immer Journalist werden, aber jedes Mal, wenn ich den Lokalteil aufschlage, habe ich weniger Lust dazu.
Ich wünsche dir viel Glück in deinem weiteren Berufsleben und freue mich auf viele weitere interessante Artikel in deinem Blog.
Lg, Neo
Volker: Da kann ich überhaupt nicht widersprechen. Sehe ich genauso. Weglassen lernen. Das wäre schon mal sehr viel.
Marc: Das Medium Papier. Genau. Es ist ja witzigerweise auch noch so, dass im Internet unendlich viel Platz wäre, um all das abzuladen, was vielleicht nur eine Handvoll Menschen interessiert. Aber genau das landet in der Zeitung und wird da noch als Mehrwert verkauft. Die interessanten Sachen findet man dagegen meistens auch im Netz.
Was bitte spricht denn eigentlich dagegen, zum Beispiel beim Podiumskonzert der Musikschule Nienberge eine _qualifizierte_ Musik-Kritik in die Zeitung zu setzen? Ich meine eine, die über „X hat getrommelt und Y hat gepfiffen, und am Schluss gab es eine Menge Applaus“ hinausgeht?
Münster (und die umliegenden Städte wie z.B. Lüdinghausen) ist voll von Kultur der verschiedensten Niveaustufen von Profis und Amateuren. Die Berichterstattung darüber fällt regelmäßig derart stiefmütterlich und laienhaft aus, dass die meisten Veranstalter sich denken: „Besser, Ihr kommt NICHT und wir schicken im Nachhinein selber eine Pressemitteilung, die dann wenigstens fachkundig ausfällt“.
Unter diesen Umständen müssen sich die Lokalredaktionen nicht wundern, wenn sie zu „Pressebericht-Abdruckern“ verkommen.
Ein weiteres Problem der Lokalzeitungen: Anzeigen die als solche nicht erkenntlich sind. – Unternehmen XY renoviert. Wenn juckt’s? Niemanden! Aber es wird drüber berichtet weil Unternehmen XY Anzeigekunde ist.
Warum nicht das ganze Konzept anders denken: Die schnellen, kurzen Dinge ins Netz. Vereinsberichterstattung etc. inbegriffen. Die hochwertigen Inhalte auf Papier – und online allenfalls »Appetithäppchen«. Einen Ansatz, wie das gehen könnte, gab es auf der diesjährigen Konferenz »Quo vadis, Editorial Design?«. Eine Veranstaltung, die auf den ersten Blick nicht unbedingt mit Journalismus zu tun hat. Erst der Blick über den Tellerrand eröffnet die ein oder andere Perspektive, u.a. diese hier – http://2014.qved.de/de/blog/james-cartwright-rethink
(Disclaimer: Ich habe für das QVED-live-Blog während der Veranstaltung und laufenden Präsentationen geschrieben. Bei so manchem Vortrag hätte ich mir im Publikum Journalisten gewünscht, die vom Gehörten einiges in ihre Redaktionen mitnehmen und dort die Ärmel hochrollen.)
@Peter Bouillon: Ich kenne die Lage in Münster nicht. Erfahrungsgemäß finden sich aber nur wenige qualifizierte Musikkenner bereit, zu den Honorarsätzen zu arbeiten, die Lokalredaktionen üblicherweise zu zahlen bereit sind.
Allerdings scheidet das von Ihnen vorgeschlagene Abdrucken von Nachberichten, die der Veranstalter einreicht, vollkommen aus. Schließlich geht es auch um eine Bewertung des Konzerts. Vom Veranstalter kann man nicht erwarten, dass er musikalisch oder sonstwie missglückte Aspekte auch so darstellt.
Dann schon lieber das Konzert überhaupt nicht mit einem Nachbericht berücksichtigen oder einen musik-unkundigen Kollegen schicken, der zumindest die Stimmung einzufangen versucht.
Davon abgesehen: Ich habe es auch schon erlebt, dass zweifelsohne qualifizierte weil selbst zum Dirigenten ausgebildete Kollegen von Musikvereinen mit viel Ausdauer diskreditiert wurden, eben weil sie eine qualifizierte Kritik nicht akzeptieren konnten.
@Volker Thies: Das trifft dann aber den _gesamten_ Lokalteil und nicht nur das Spezialgebiet Musik: Wenn die Redaktionen nicht ausreichend viel Geld auswerfen (können), um qualifizierte Artikel zu bekommen, finden sie zwangsläufiger Weise nur Käseblättchen-Artikel oder solche, die von interessierter Seite geschrieben wurden und folglich nicht objektiv sind.
Durch Umstrukturierung des Blatts (siehe @Heike Rost) lässt sich das dann nicht beheben. Der Engpass ist dann nämlich gar nicht der Zeitverzug zwischen Ereignis und Abdruck. Sondern er besteht darin, dass lesenswerte Artikel so wenig honoriert werden, dass sich die hierzu Kompetenten die Mühe nicht machen wollen/können.
In dieser Hinsicht ist das Internet sogar eher noch schlechter dran als die gedruckte Zeitung. Wer mal ein halbes Stündchen auf freenet &Co. zugebracht hat, kommt unschwer zum Schluss, dass auch dort das Schreiben von lesenswerten Artikeln wohl nicht ausreichend honoriert werden muss: Die typischen Internet-Artikel werden stündlich immer liebloser und aufwandärmer „zusammengehauen”, bei ständig oberflächlicher werdendem „Geschrei“ (You can’t believe what …; … is absolutely astounding) und ständig abnehmendem Gehalt. Gleiches gilt für die meisten Blogs, und die Blogger erheben dieselbe Klage, dass sie an hochwertiger Arbeit immer weniger verdienen.
Und damit besteht die Lösung nicht darin, von einer Print- zu einer Online-Redaktion umzuziehen. Das läuft an dem eigentlichen Problem vorbei. Es kommt nicht darauf an, Anklang zu finden, und es kommt auch nicht darauf an, möglichst viele Textkonsumenten zu finden, sondern _zahlungswillige_ Textkonsumenten zu finden.
@Heike: Das wird so ähnlich kommen. Meine Prognose ist, dass die lokalen Tageszeitungen irgendwann Wochenzeitungen werden. Die schnellen Sachen unter der Woche kommen auf die Website und – wenn die Zeitung schlau ist – das mit Tiefgang, was man auch nicht mal eben runtertippt, weil man nachfrage muss, im gedruckten Blatt zum Wochenende.
@Sven: Das ist nur fair. Was bedeutet denn konkret, dass Unternehmen XY Anzeigenkunde ist? Dass es viel Geld gezahlt hat. Die Zeitung verdient an den Anzeigen i.d.R. mehr als am Zeitungspreis. Folglich sagen die Anzeigenschalter zu Recht an, wo’s lang geht. Wer zahlt, schafft an.
So gesehen ist es für die Zeitungen ein Segen, dass die Anzeigenerlöse immer stärker zurückgehen. Auf diese Weise machen die Erlöse aus den Zeitungspreisen wieder einen stärkeren Prozentsatz aus. Damit werden die Redaktionen stärker gehalten, auf ihre Leserkunden einzugehen als auf ihre Anzeigenkunden.
Chronistenpflicht – die gibt es auch noch für einen Journalisten, seitdem es den Stadtschreiber nicht mehr gibt; eine, wie es scheint, heute verachtete Aufgabe des Lokaljournalismus.
Aber Leute: Ihr arbeitet halt beim Landboten, bei der Volkszeitung oder beim Tageblatt und eben nicht für Spiegel, FAZ, taz oder Bild. Wen die „Bratwursttexte“ nerven, der liest sie nicht die Tageszzeitung und wen das Schreiben der Texte nervt, der muss die Redaktion wechseln.
Trotz aller Meckerei wird das aber kaum jemand der ach so leidenden Tageszeitungsredakteure tun, denn die tariflich gezahlten Gehälter reichen je nach Redaktionszugehörigkeit an die 4.000 Euro heran. Das ist die eigentliche Frechheit: Für so ein Gehalt, so schlechte Texte zu produzieren. Wer sich einmal den Spaß macht und (wie ich) ein (zugegeben digitales) Handarchiv einiger Veranstaltungen seiner Stadt anlegt, stellt zudem fest, dass einige Kollegen Jahr für Jahr den selben(!) Text für den Vorbericht zum Stadtfest, zur Kirmes, zum Schützenfest verwenden. Lediglich das Datum wird angepasst und einige Absätze in ihrer Reihenfolge verändert. Und immer genau diese Kollegen sind es, die mir in den Ohren liegen und mit Verachtung in der Stimme vorjammern, wie sch… es doch sei, Jahr für Jahr dieselben sch… Vereine und Veranstaltungen besuchen zu müssen und immer über dieselbe Sch… zu schreiben.
Mein Mitleid hält sich in engen Grenzen.
Grüße Heinz
Sehr guter Schlusssatz, damit konnte nicht gerechnet werden 😀
Zum Einen muss ich dir recht geben, zum anderen denke ich aber auch, dass viele Menschen, die solche Art von Artikeln lesen, sich auch in gewisser Weise daran festhalten. Nach dem Motto: Überall ist Krieg und Verderben in der Welt, aber bei uns im Verein kommt nächstes Jahr Gottseidank die Jugend in den Vorstand, hier läuft es noch, wie es soll.
Auch für Unbeteiligte sind diese nebensächlichen Artikel vielleicht eine Art Beruhigung, dass bei ihnen in der Region noch alles in geordneten Bahnen läuft, auch wenn sie den Inhalt des Artikels überhaupt nicht aufnehmen. Hauptsache, er ist da.
Kleines Gedankenspielchen meinerseits.
Ich hatte vor einiger Zeit mal ein Regionalzeitungsbingo „erfunden“, das schlägt in etwa in dieselbe Kerbe: http://malguckenwielangeichblogge.blog.de/2014/01/29/regionalzeitungsbingo-17650530/
Späte Einsicht. Aber immerhin. Recht haben Sie.
Hallo zusammen,
ich habe gerade mit größtem Interesse diesen Blogbeitrag verschlungen und versuche mich nun auch einmal an einem Kommentar.
Ich selbst beziehe wohl eines der größten Käseblätter überhaupt, dessen Namen jetzt nicht von Relevanz ist. Dort werden Inhalte – die ersten paar Seiten mit überregionalem Kram ausgenommen – über alle Maßen gestreckt. Es liegt also genau jenes von Ralf Heimann beschriebene Problem vor. Ich bin jedoch der Meinung, dass sein Beitrag nur eine Seite der Medaille beleuchtet. Er schreibt, dass ein Mut zum Weglassen die Qualität von Pflichtbeiträgen über Vereine u.ä. die Qualität steigern würde. So weit so gut. Ich denke aber, dass in vielen Städten, wie auch in meiner, ein echtes Problem darin besteht für den Lokalteil überhaupt Objekte mit hoher Relevanz für eine breitere Leserschaft zu finden. Wie soll man also den frei gewordenen Platz füllen? Einfach weniger zu drucken ist aus meiner Sicht keine Lösung. Die Leute werden sich wundern, wenn auf einmal die Zeitung „weniger“ enthält, obwohl es einen Mehrwert darstellt. Wenn man nicht den freien Platz mit etwas wirklich gutem füllen kann, dann meckern die Leute sicher nachvollziehbar über knappe Beiträge – es wäre ja der Platz da! Somit ziehe ich den Schluss, dass die Lösung des Problems nicht so einfach ist, wie von Ralf Heimann dargestellt. Seine Meinung zum Lokaljournalismus generell teile ich jedoch und ich hoffe, als angehender Journalist, mich durch Taten von dem abheben zu können, was ich fast täglich kritisiere (welch Phrase!).
Und ich bin immer noch nicht fertig, wie ich gerade feststelle. Neben des Problems von fehlendem brauchbaren Input gibt es meiner Meinung nach ein Problem von sagenhafter Inkompetenz in Lokalredaktionen. Ich möchte hier zunächst einschränken, dass ich natürlich pauschal so etwas aufgrund meines beschränkten Horizontes nicht halten kann, aber ich glaube, dass dies nicht nur in meiner Region so ist. Da wird, wenn denn mal etwas wirklich außergewöhnliches passiert – letztes Beispiel war ein schwerer Verkehrsunfall im Herzen der Stadt – hingegangen und so ein Mist geschrieben, dass man als Leser fast kotzen muss. In der Unterschrift zu dem Bild, welches die beim Unfall zerstörten Fahrzeuge zeigt, steht dann: „Lebensgefährlich verletzt, schwer verletzt und leicht verletzt – die Folgen für die Fahrer der im Bild zu sehenden Fahrzeuge in dieser Reihenfolge.“ Sehr geschmackvoll meiner Meinung nach. Im Artikel geht es dann lustig weiter – von den sich häufenden Fehlern in Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung abgesehen. Anstatt zu erklären wie es zu dem Unfall kam oder wie es um die Verletzten steht (da gibt es über den Tag hinweg vielleicht ja mal Veränderungen), wird erzählt, welche Ziele Autofahrer – die durch den Unfall aufgehalten wurden – potentiell gehabt haben könnten. Es zieht sich einfach durch den ganzen Text eine solche Unfähigkeit, nur ein einziges Mal aus einem Ereignis auch einen guten Bericht zu machen. Es muss vielleicht schon als Leistung betrachtet werden, dass ein solches Ereignis durch den grauenhaften Bericht genau so wirkt wie ein Bericht über eine Vereinssitzung – nämlich gestreckt.
Auch fehlt es im Lokaljournalismus in meiner Region gravierend an Meinung. In Zeitungen wie der SZ (hier nur beispielsweise) ist Platz dafür vorgesehen, dass Entwicklungen von den Redakteuren kommentiert werden und somit der Journalismus trotz – des leider oft recht frei ausgelegten – Gebots, in Berichten Objektiv zu bleiben, die sogenannte 4. Gewalt im Staat sein kann. Egal ob die Menschen dies heutzutage noch ernst nehmen, schließlich ist Empörung über die gesteuerten bösen Medien ja gerade in Mode.
In meiner Region gibt es 0,0 kritische Auseinandersetzung der Lokalredakteure mit dem worüber sie berichten. Was ist so falsch daran, den Leuten mal Lokalpolitik kritisch betrachtet näher zu bringen? Es wird auf städtischer Ebene genau so viel Mist gebaut wie auf Bundesebene – Kritik daran gibt es jedoch in der Zeitung nicht zu lesen und es bekommt nur ein unglaublich kleiner Teil von Menschen wirklich ein bisschen von dem mit was im Stadtrat läuft. Dabei ist die Weiterentwicklung ihres Lebensraumes doch den meisten Menschen sicherlich ein Anliegen? Nun stehen die Kommunalwahlen an und es gibt in der Zeitung wenig dazu zu lesen – im Hauptteil geht Europawahl vor und im Lokalteil gibts immer neue C-Jugend-Fußballturniere. Vielleicht ist es zu anstregend, sich als Journalist auch auf lokaler Ebene mit dem nötigen Ernst und einem kritischen Auge mit Themen wie der Politik zu befassen – weil man für Geschwafel über Seniorenkaffee dasselbe Geld bekommt (und einen Kuchen beim Event selbst noch dazu). Ich halte dies für einen traurigen Zustand, da ich merke wie selbst meine durchaus politisch interessierten und aufgeschlossenen Eltern kaum wissen, welcher Partei sie ihre Stimme geben wollen. Alle Programme decken sich, sind heuchlerisch und loben die Leistungen der letzten Periode. Und ein kritischer Journalismus der einem helfen würde, diese Programme zu beurteilen oder, in den Jahren vor der Wahl, dafür sorgen würde, dass man sich Wissen über den dann tatsächlich ablaufenden Betrieb aneignen kann? – Fehlanzeige.
@Heinz: Es geht nicht um die Themen an sich, zumindest mir nicht, und auch Ralf habe ich so nicht verstanden. Natürlich SOLL über Stadtfest und Co. berichtet werden. Meiner Meinung nach ist bei solchen Veranstaltungen ein Vorbericht sogar erheblich wichtiger als die Nachberichterstattung.
Es geht vielmehr um die Art und Weise der Aufbereitung. Und in dieser Hinsicht ist es nun einmal unangemessen, die vom Nachrichtenwert her sehr dünne Aussage „Das Fest ist wie geplant gelaufen und alle hatten ihren Spaß“ auf 100 Zeilen auszuwalzen und damit den Lesern Lebenszeit zu stehlen. Dann lieber ein paar schöne Fotos und 20 knackige Zeilen.
Was das Gehalt der fest angestellten Kollegen betrifft: Das halte ich nicht für unangemessen hoch. Und die Beschwerden über die immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen sind keine „Jammerei“, sondern eine durch die Bank gerechtfertigte Kritik an den heutigen Arbeitsbedingungen. Die Überlastung in den Lokalredaktionen ist schließlich der Grund dafür, dass massenhaft schlechte Texte ins Blatt kommen. Wobei ich eine Wiederverwertung von Ankündigungstexte einer jährlichen und unverändert ablaufenden Veranstaltung nicht für verwerflich halte.
@Ralf, haben Sie die betreffenden Texte wirklich selbst geschrieben, oder sind das einfach nur Pressemitteilungen der Vereine, die Sie unredigiert in die Zeitung gehoben haben?
NeoTheThird: Vielen, vielen Dank! Ich freue mich sehr!
Peter Jebsen: Nein, die habe ich wirklich selbst geschrieben. Die liegen hier noch rum. Kann ich gern rüberschicken.
Volker: Dank dir! Genau so war das gemeint.
@Ralf, dann frage ich mich: WARUM??? Für einen guten Artikel braucht ein geübter Autor nicht sooo viel länger als für einen schlechten. 😉
Peter Jebsen: Ich hatte davor noch nicht so viele Texte für die Zeitung geschrieben. Das waren so meine ersten.
In Münster wird ein neuer Zoodirektor gesucht ?
Danke für den Hinweis….☺
Es mag sein, dass die von Dir zitierten Texte auch heute noch erscheinen. Aber einen Untergang von Lokaljournalismus vorherzusagen, halte ich für zu schwarz gemalt. Es sind die Geschichten aus unserer Umgebung, die uns interessieren. Erzählt am Schicksal von Menschen, direkt und nachvollziehbar. Das ist unsere Chance. 🙂
Oliver Schirg: Da hab ich mich vielleicht unklar ausgedrückt. Ich sehe nicht den Lokaljournalismus untergehen. Ich wollte nur sagen, dass es Probleme gibt, für die die Zeitungen selbst verantwortlich sind. Man schiebt ja gern immer alles auf das Internet.
@Peter G. Bouillon: Vorsicht! „Wer zahlt, schafft an!“??? Klar, bei dem, wofür gezahlt wird – die Anzeige. Und nur die – der Rest wäre die ohnehin schon zur genüge betriebene Aufweichung der Trennung zwischen Anzeige und Redaktion, Werbung und Journalismus.
Dass der Rückgang der Anzeigenerlöse im Print ein Segen für die Zeitungen sei, wird von den Verlagsleitungen garantiert anders gesehen! Und von den Journalisten – die kriegen nämlich zunehmend den Druck der Verlagskaufleute zu spüren, Stichworte Arbeitsverdichtung, Etat- und Honorarminderungen rsp. Tarifdruck. Hat das auch was mit abnehmendem publizistischen Bewusstsein in heutigen Verlagsspitzen zu tun, dem Zeitgeist der Profitmaximierung? Erzählen Sie mal einem GF aus dem mittelständischen produzierenden Gewerbe von den selbst heute noch gängigen Umsatzrenditen (oder zumindest den Erwartungen an diese) im Verlagsgeschäft – die brechen Ihnen in Tränen aus!
Dabei sind es eben diese Verlagsmanager wie auch die Werbetreibenden doch selbst schuld! Wer hat denn kostenintensiv produzierte Inhalte wie Ramschware ins WWW gekippt – und sich dann beklagt, dass die Anzeigen dorthin für billiger Geld nachziehen? Und wer übersieht denn, dass eine teure, indes aufwändig gestaltete und groß gedruckte (teure) Anzeige deutlich auffälliger ist und besser in Erinnerung bleibt, als die Ursachen entnervten dauernden Wegklicken Müssens, das dauernde Hase-und-Igel-Spiel zwischen Banner- und Popupblocker-Programmierern?
Der Arbeitsdruck in den Medien ist es übrigens auch, der zum Versand von „Presseberichten“ und einer zunehmenden „Hoheit“ der PR-Branche führt – die Initiatoren haben längst kapiert, dass für die Berichterstattung in der Fläche zu wenig qualifizierte Manpower, weil zuwenig Geld da ist – also machen Sie’s selbst, und die, die’s am besten (ausgewogensten/ kürzesten/relevantesten) machen, kommen auch am ehesten rein.
Wenn das im Ergebnis dann oft immer noch so Sch… aussieht, ist das vor allem ein Zeichen dafür, dass Journalismus eben doch ein höchst qualifizierter Beruf ist. Und wo es – dem stetig steigenden Kostendruck sei Dank – dann eben für Qualität nur noch abnehmend reicht. Wenn Sie sich allein mal die Orthographie und Stil und Syntax anschauen, merken Sie schnell, dass Muttersprachlichkeit und Deutsch in der Grundschule für guten Journalismus längst nicht hinreichen.
@Heinz: Weswegen ich Ihre Kritik am Redakteurstarif auch als eine ziemliche Unverschämtheit empfinde und mich ganz Volker Thies (nicht nur in dieser Sache) anschließen muss, seine Aussagen indes nicht mal aufs Lokale und die Tagespresse beschränken würde. Für den Job wird oder wurde zumindest lange Zeit mal ein Hochschulabschluss und ein Volontariat plus Praktika gefordert – dass das nicht umsonst war, findet im zunehmend feststellbaren Qualitätsverfall ebenfalls traurigen Ausdruck.
@Peter Jebsen: Vielleicht kommt dies ja auch in Ihrer hoffentlich ironisch gemeinten Einlassung auf den Punkt. Denn für einen guten lesenswerten Beitrag bedarf es der Konzentration und Muße, nicht des bloßen „Rausrotzens“ routinierter (und teils nicht mal reflektierter) Phraseologie – beides steht aber nicht nur im Tagesaktuellen dem dort vorherrschenden Arbeitsdruck etwas entgegen. Last but not least wird übersehen: Lang kann jeder. Ein geflügeltes Wort, dass ich während meiner Anfangsjahre bei Radio und Fernsehen gelernt habe – und das absolut zutrifft! Und es auch als Zeitschriftenredakteur wieder erfahren habe – aus einem zu langen „Beitrag“ eher vom Charakter eines mittelmäßigen Schulaufsatzes einen nur einigermaßen zumutbaren und sinnvollen Text zu machen, kann mehr Arbeit erzeugen, als gleich selbst zu schreiben – nur kann man eben leider nicht jeden Termin, jedes relevante Ereignis selbst wahrnehmen.
Deswegen gebe ich Ralf Heimann auch vollkommen Recht – an dem Problem ist bei weitem nicht nur das pöse pöse Internet schuld; vielmehr ist dessen unreflektierte Nutzung von Verlagsseite gepaart mit vielfacher wechselseitiger Qualitätsminderung der große hausgemachte Teil des Problems.
Das bringt mich schließlich zu @Heike Rost und zur Aussöhnung mit Ihrem ersten Posting, Peter G. Bouillon, denn aktuelle Entwicklungen weisen genau in diese beiden Richtungen: Dass es darauf ankommt, für gutes Zeug ein zahlungswilliges Publikum zu finden, beansprucht und versucht nach correspondent.nl in Deutschland gerade krautreporter.de. Ob es gelingt, scheint gegenwärtig leider genau so unklar wie ein Versuch aus der Schweiz, der genau Ihre Auffassung trifft, Frau Rost: Die Jungfrauen-Zeitung (nicht lachen, meint eine Region) dort erscheint dort nur zweimal wöchentlich gedruckt – alles Kurze dazwischen kommt cross- und multimedial ins Netz.
Sehr spannend zu beobachten, wie beides ausgeht. Wünsche beiden jedenfalls alles Gute, obschon „Papierfan“; aber wenn Krautreporter nicht floppt, gibt es dereinst vllt. ja zumindest auch noch ein regelmäßiges gedrucktes „Best-Off“.