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Kuck mal, wat für ’n Käseblatt

In Münster suchen sie einen Zoodirektor. Ein Freund hat mir die Stellenanzeige geschickt. Ich habe mich noch nicht entschieden, aber es gibt zum Glück noch andere Optionen.

Wenn ich in den letzten Jahren an schlechten Tagen darüber nachgedacht habe, mir einen anderen Job zu suchen, dann dauerte das meistens einen Abend. Einmal wollte ich Lehrer werden. So etwas beginnt ja immer mit einer Google-Recherche. Kann sein, dass ich mich dumm angestellt habe, jedenfalls landete ich in Foren, wo ich Sätze las wie: „Ich bin seit zehn Jahren Lehrer, und ich brauche dringend eure Hilfe.“

Ich sah mich selbst in zehn Jahren solche Sätze schreiben.

Es ist aber eigentlich auch nicht der Beruf, der mich stört. Ich kann mich an keinen einzigen Arbeitstag erinnern, an dem ich mir gewünscht hätte, dass die Uhr etwas schneller läuft. Okay, die Konferenzen mal ausgenommen.

Ich arbeite in einer Redaktion, in der schon mal Kuchen auf dem Tisch steht, weil Kollegen einen Journalistenpreis gewonnen haben. Einige dieser Kollegen bewundere ich für ihre Arbeit.

Es gibt zum Beispiel Jörg Gierse, in dessen Texten ich in sieben Jahren beim Redigieren vielleicht fünf Fehler gefunden habe. Es können auch vier gewesen sein. Und das liegt nicht daran, dass ich ein so lausiger Korrektor wäre.

Es gibt Helmut Etzkorn, der seit Jahrzehnten zu jedem größeren Einsatz der Polizei oder der Feuerwehr fährt. Das kann morgens um halb fünf sein. Um zehn Uhr sitzt er in der Morgenkonferenz und hat den Text schon geschrieben.

Es gibt Ulrich Breulmann, mit dem es sehr unangenehm werden kann, wenn man es in einer Recherche mit ihm zu tun bekommt. Er ist kritisch und gründlich. Von ihm kann man lernen, was journalistische Haltung ist.

Es gibt Tobias Großekemper, der Geschichten sieht, die andere nicht sehen, und der sie großartig aufschreiben kann.

Es gibt Christoph Klemp, der vielen Leuten fürchterlich auf die Nerven geht, weil er so hartnäckig ist – und den ich um diese Hartnäckigkeit beneide.

Es gibt Michael Hagel, von dem ich wahrscheinlich am meisten gelernt habe.

Und es gibt Stefan Bergmann, der eigentlich immer weiterhelfen kann, wenn um halb sechs noch immer ein Aufmacher für die Zeitung fehlt.

Das sind nur schreibende Kollegen. Es gibt noch viele andere. So eine Aufzählung hat ja immer den Nachteil, dass man nicht alle nennen kann. Ich erwähne das aber, weil ich sagen will: Es gibt hervorragenden Lokaljournalismus.

Aber es gibt eben auch das Gegenteil. Also die Seiten, die Zeitungsleser am Frühstückstisch mit den Worten über den Tisch reichen: „Kuck mal, wat für’n Käseblatt.“

Und weil es immer ganz gut ist, wenn man Beispiele hat, habe ich mal drei Texte rausgesucht. Das hier sind die ersten Sätze:

„Zur Jahreshauptversammlung lud am Samstagabend der Box Sportclub Münster 23 e.V. in der Gaststätte Nemann an der Metzerstraße.“

„Zu einem Werkstattkonzert unter dem Titel ‚Neue Musik‘ lud die Musikschule Nienberge am Sonntagabend in das evangelische Lydia-Gemeindezentrum ein.“

„Eine durchweg positive Bilanz des vergangenen Jahres konnte auf der Generalversammlung des SV Concordia Albachten am Sonntag im Clubheim an der Hohen Geist 7 gezogen werden.“

Man kann sich ungefähr vorstellen, wie es weitergeht. Nur, man will es nicht.

Im ersten Text zitiert der Autor den stellvertretenden Vereinsvorsitzenden mit dem Satz: „Bevor im kommenden Jahr die jüngere Generation die Verantwortung im Vorstand übernimmt, bleibt im laufenden Jahr fast alles beim Alten.“ Er hätte auch sagen können: „In diesem Jahr gibt’s nichts zu erzählen. Kommen Sie einfach nächstes Jahr wieder.“

Über dem zweiten Text steht in fetten Buchstaben: „Das etwas andere Konzert.“ Und mittlerweile dürfte sich auch bis in die letzten Winkel des Landes rumgesprochen haben, dass das eine nette Umschreibung für „wirklich nichts Besonderes“ ist. Hier vielleicht noch ein Zitat: „Der Applaus des bis auf den letzten Platz besetzten Gemeindezentrums sprach für sich.“

Und dann noch zum dritten Text. Auch hier ein paar Zitate: „Gespannt darf man auf den weiteren Verlauf des Jahres sein.“ Oder das hier: „Herauszuheben ist überdies das Engagement des Vereins in sozialer Hinsicht.“

Diese Texte sind grauenvoll. Wenn man mich fragt, sie hätten nie in der Zeitung erscheinen dürfen. Ich habe überhaupt nichts gegen Vereinsberichterstattung. Aber die Voraussetzung dafür, dass etwas in der Zeitung steht, sollte immer sein, dass man vom Kreis der potenziellen Interessenten die Leute auf dem Foto abziehen kann und dann noch immer jemand übrigbleibt.

Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Voraussetzung manchmal nur knapp erfüllt ist.

Die Artikel oben sind zehn Jahre alt. Aber so etwas steht auch heute noch in der Zeitung. Jede Woche. Dahinter steht die Überzeugung: „Die Leute lesen so was.“

Ich bezweifle das. Ich glaube, am Niedergang der Lokalzeitung ist nicht nur das Internet schuld. Das liegt auch ein bisschen an dieser Form von Journalismus.

Vielleicht sollte ich noch sagen: Die drei Texte stammen von mir. Ich habe sie vor zehn Jahren geschrieben.

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