Das Problem mit dem Ich
Ein alter Nachbar von mir ist Pressesprecher. Wenn wir uns treffen, reden wir oft auch über die Arbeit. Gestern war so ein Abend. Wir saßen beim Bier. Er sprach über das, was er gerade so macht, und irgendwann sagte er, seine Pressemitteilungen würden ja mittlerweile kaum noch verändert. Einen Moment lang dachte ich, er spricht über seinen Chef, aber dann verstand ich, es geht um die Redakteure. Die Zeitung ist für ihn ein PR-Werkzeug, das immer besser funktioniert.
Die Zeitung ist ja so vieles. Neulich stand ich beim Supermarkt-Bäcker in der Schlange und hörte, wie der Abo-Verkäufer am Eingang mit einem potenziellen Abonnenten sprach. Und ich muss sagen: Das ist ja schon toll. Man bekommt topaktuelle Exklusiv-Infos. Das Beste aus der ganzen Stadt. Alles in hervorragender Qualität. Die Zeitung ist ein Premium-Produkt.
Wenn ich irgendwo erzähle, dass ich als Lokalreporter arbeite, wissen die Leute das mit dem Premium-Produkt oft gar nicht. Sie ahnen es nicht mal. Sie stellen sich vor, dass Lokalreporter von Milchkanne zu Milchkanne fahren, über Kleingärtner und Sommerfeste berichten, im Grunde über all das, was die Menschen, mit denen ich gerade rede, nicht interessiert. Und dann sind sie natürlich auch überzeugt davon, dass die Zeitung voller Fehler ist. Solche Gespräche sind manchmal ganz schön anstrengend.
Es kommt mir oft vor, als wenn zwischen dem Selbstbild und dem Fremdbild von Zeitungen eine Lücke klafft, die so groß ist, dass man reinfallen könnte.
Dabei haben ja alle irgendwie recht.
Es gibt Zeitungen, die zu großen Teilen aus Pressemitteilungen bestehen. Man findet seitenweise Gruppenbilder aus Vereinsversammlungen, Gefälligkeiten für Anzeigenkunden und Texte, die man eigentlich nur mit Valium substituieren kann.
Aber Lokaljournalismus kann ja auch anders. Mein Kollege und guter Freund Michael Billig hat mal mit einem Artikel in der Lokalzeitung erreicht, dass die Universität in Münster ihren Umgang mit Nationalsozialisten aufarbeitet. Die Stadt hat danach mehrere Straßen umbenannt. Das alles mündete in eine Diskussion darüber, ob der größte Platz in Münster Hindenburg-Platz heißen darf. Es gab einen Bürgerentscheid. Der Platz heißt jetzt Schlossplatz.
Das ist das andere Extrem. Dazwischen gibt es oft guten oder sogar sehr guten Tagesjournalismus. Lokalnachrichten, das sind ja idealerweise die wichtigsten Meldungen des Tages. Das, worüber gesprochen wird. Das, was nur weniger Kilometer weiter passiert. Das, was die Menschen interessiert.
Seltsam, dass ausgerechnet der Lokaljournalismus im Verdacht steht, langweilig zu sein.
Lokalnachrichten haben ein gewaltiges Image-Problem. Jeder kann sie gebrauchen, aber sie sind irgendwie uncool. Auch junge Menschen mit Internet interessieren sich ja dafür, was in ihrer Stadt passiert. Nur, sie wollen es nicht von der Zeitung wissen.
Der Journalistik-Professor Michael Haller schreibt in seinem Buch „Brauchen wir Zeitungen?“: „Viele junge Leute zeigen Respekt vor der Printzeitung wie vor einer Autoritätsperson, die man kennt, der man aber wenn möglich aus dem Weg geht.“
Die Frage ist, was man da machen kann. Joachim Braun hat hier viele Dinge aufgeschrieben, die alle eigentlich selbstverständlich sein sollten. Ich glaube, es müsste mit der Frage anfangen, ob das, was der Abo-Verkäufer im Supermarkt erzählt, alles wirklich so stimmt.
1 Kommentar
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Ich würde es mal mit dem Plugin Antispam-Bee probieren. Das filtert bei mir zuverlässig nahezu alle Spam-Kommentare raus.